TYPENREIHE MERCEDES-BENZ ACTROS
Im Spätsommer 1996 stellte Mercedes den neuen Schwer-Lkw Actros in Hockenheim vor. Nach wie vor offerierte das Werk vier verschiedene Kabinen: kurz, lang, mittellang und das neue Flaggschiff Megaspace, dessen Besonderheit ein Fehlen des Motortunnels und somit ein ebener Boden war. 1,92 Meter Stehhöhe waren dort rundum geboten. Im Normalfahrerhaus reduzierte sich dieser Wert im Bereich des Motortunnels auf 1,68 Meter.
Die Sattelzugmaschinen des Actros waren beim Zweiachser anfangs in allen Leistungsklassen (310, 350, 400, 430, 480, 530 und 570 PS) fast alle durchgehend blattgefedert sowie mit Luftfederung an der Hinterachse zu haben. Nur das Flaggschiff mit 570 PS gab es ausschließlich mit luftgefederter Hinterachse. Es gab durchgängig die Option auf Sattelzugmaschinen mit niedrigem Rahmen (für Volumentransporte).
Dreiachsige Sattelzugmaschinen kamen erst relativ spät und waren in 6x2/4-Version (grundsätzlich mit luftgefederter Hinterachse von 310 bis 530 PS) erhältlich. Dreiachsige Sattelzugmaschinen mit der Achsformel 6x4 gab es im gleichen Leistungsspektrum aber sowohl durchgängig blattgefedert als auch wahlweise mit Luftfederung an der Hinterachse. Allradgetriebene dreiachsige Sattelzugmaschinen waren mit 310, 400, 430, 480 sowie 530 PS erhältlich.
Zweiachser waren in der Regel mit allen vier lieferbaren Kabinenvarianten erhältlich. Bei den 6x2/4-Varianten gab es die Megaspace-Kabine erst ab 400 PS, bei den Ausführungen in 6x4 und 6x6 jedoch überhaupt nicht. Im Fahrerhaus selbst waren die Instrumente sowie Schalter in Cockpitmanier um den Fahrer herum gruppiert, der Kunststoff im Inneren orientierte sich in graublauer Farbgebung an dem, was im Transporter Sprinter bereits gut angekommen war. Das Bett ließ sich auf 75 Zentimeter Breite ausziehen, darunter gab es reichlich Stauraum.
Die Pritschenwagen, genauer gesagt Langchassis des Actros (aufgebaut wird heutzutage zumeist extern) waren beim Zweiachser durchgängig in allen Leistungsklassen (310, 350, 400, 430, 480, 530 sowie 570 PS) sowohl durchgängig blattgefedert als auch mit Luftfederung an der Hinterachse zu haben. Beim Zweiachser reichten die Radstände von 4.500 bis 6.000 Millimeter, beim Dreiachser von 4.500 bis 5.100 Millimeter.
Bis hin zu 350 PS lieferte das Werk die kurze, mittellange und lange Kabine. Ab 400 PS war auch die neue Hochdachkabine Megaspace erhältlich. Das Flaggschiff mit 570 PS war nur mit Megaspace-Kabine erhältlich. Im Fahrerhaus selbst waren die Instrumente sowie Schalter in Cockpitmanier um den Fahrer herum gruppiert, der Kunststoff im Inneren orientierte sich in graublauer Farbgebung an dem, was im Transporter Sprinter bereits gut angekommen war. Das Bett ließ sich wie bei den Sattelzugmaschinen auf 75 Zentimeter Breite ausziehen, darunter gab es reichlich Stauraum.
„QUANTENSPRUNG“ MIT DER BAUREIHE 500
Und die Motoren waren nagelneu. Immer noch V-Motoren zwar, aber mit deutlich mehr Volumen pro Zylinder als bisher. Knapp zwei Liter waren es nun jeweils, die sich aus 130 Millimeter Bohrung und 150 Millimeter Hub errechneten. Als „Quantensprung“ bezeichnete Motorenchef Michael Schittler das, was mit ihnen erreicht wurde. Baureihe 500 hieß die neue Motorenfamilie, die aus vier V6 und drei V8 bestand. Und die hatten sowohl für Euro 3 sowie alle darauf folgenden, absehbaren Emissionsstufen gerüstet zu sein. Sie mussten langlebiger und zuverlässiger als ihre Vorgänger sein. Und wirtschaftlicher.
Von 313 bis 428 PS reichte die Leistung der Sechszylinder, der V8 regierte die Welt zwischen 476 und 571 PS. Dank des vergrößerten Hubvolumens erreichte diese Maschinen ihre maximale Leistung bei 1.800 U/min. Das maximale Drehmoment gaben sie jeweils bei 1.080 U/min ab. Wie bei der neuen Baureihe 900 arbeitete die Einspritzung vollelektronisch und setzte auf Einzelsteckpumpen. Statt der drei Ventile wie beim 900er-Motor waren es hier aber vier Ventile pro Zylinder. Und statt bis 1.600 bar wie bei der Baureihe 900 reichte hier der Einspritzdruck bis 1.800 bar. Das sorgte zusammen mit den Achtlochdüsen für eine optimale Verteilung des Diesels im Brennraum.
100.000 Kilometer galten nun als Prämisse für die Wartungsintervalle. Und auch in puncto Haltbarkeit setzten die Vertreter der 500er-Familie neue Maßstäbe. Nur zehn Prozent der Maschinen durften ausfallen, bevor sie eine Million Kilometer erreicht hatten. Für die vorigen Motoren galten da 750.000 Kilometer. Im Kundenversuch hatten zwei Dutzend Aggregate schon insgesamt mehr als sechs Millionen Kilometer zurückgelegt, bevor Mercedes jetzt mit den 500er-Motoren herauskam.
„Life Cycle Costs“ war zu dieser Zeit ein viel bemühter Begriff. Dahinter steckte die Erkenntnis, dass die Kilometerkosten das wahre Maß der Dinge beim Lkw seien. Diese zu drücken, dazu hatten die Entwickler des Actros alle Hebel in Bewegung gesetzt. Das fing bei den Wartungsintervallen an und setzte sich über eine Konstruktion fort, die selbst den Motorwechsel zu einer Übung machte, die nur noch halb so lang dauerte wie beim SK. Höhere Wirtschaftlichkeit versprachen die Techniker denn auch für die neuen Scheibenbremsen. 50 Prozent länger als bei den Trommelbremsen zuvor sollten die Beläge halten. Zudem ging der Belagwechsel bei Scheibenbremsen schneller von der Hand.
Das flexible Wartungssystem rechnete dem Kunden gar auf den Punkt genau vor, wann ein Service tatsächlich fällig war. War der Einsatz eher leichter Natur, dann durfte das Intervall gern 120.000 Kilometer betragen. Musste der Lkw schwer schuften oder hatte er viele Kaltstarts hinter sich, dann fiel der gegebene Servicezeitpunkt auch mal unter die Marke von 100.000 Kilometern. Die Vernetzung der Datenströme im neuen Actros, der mit Elektronik vollgepackt war, machte solche Kalkulationen möglich.
GRÖßERES LEISTUNGSSPEKTRUM
Größer und stärker als sein Vorgänger war der Actros allemal. Aber er war auch leichter und bot somit mehr Nutzlast, die er außerdem schneller transportierte. Nutzlast schaffte zum einen, dass nun sehr leichte V6 (825 Kilogramm Eigengewicht) sich oft schon da nützlich machen konnten, wo vorher ein V8 anzutreten hatte. Schließlich reichte das Leistungsspektrum der neuen V6 bis 428 PS. Und das war Mitte der 90er-Jahre genau die gängige Leistungsklasse für einen ordentlich motorisierten Fernverkehrszug.
Zur schlanken Linie des Actros gehörten aber auch viele weitere gewichtsoptimierte Komponenten wie die neue Hinterachsaufhängung oder der neue Rahmen. Verglichen mit einem herkömmlichen 1838, so rechnete das Werk vor, seien beim neuen 1843 auf diese Weise exakt 444 Kilogramm eingespart worden. Besonders stolz waren die Entwickler auf den neuen Stabilenker. So hieß jene Neukonstruktion unten im Chassis des Lkw, die optisch an eine Verbundlenkerachse im Pkw erinnerte und die Funktionen von Stabi und Anlenkung in sich vereinte. Der Stabilenker trug einen guten Teil zu den 90 Kilogramm bei, mit denen die Hinterachsaufhängung leichter ausfiel als bisher.
1,8 Milliarden Mark hat sich der Konzern die Entwicklung des neuen Actros kosten lassen. Die Hälfte davon floss in das Werk Wörth, um die Produktion kostengünstiger zu gestalten. Sicherstellen sollte die angepeilten Kostenvorteile ein ausgeklügeltes Baukastensystem, das die verwendeten Teile im Vergleich zum Vorgänger halbierte. Gab’s beim SK noch 280 Tankvarianten, blieben beim Actros nur noch deren zwölf. Bei den Auspuffanlagen reduzierte sich die Zahl von 100 wiederum auf gerade mal zwölf. So dauerte es dann nur noch 50 Stunden, bis aus all den Einzelteilen ein kompletter Lkw in Wörth entstanden war.
Was da zum Kunden rollte, das war nichts Geringeres als der erste Schwer-Lkw Europas, der serienmäßig über elektronisch geregelte Scheibenbremsen an allen Achsen verfügte. Das machten sich die Techniker gleich auch noch in anderer Hinsicht zunutze. Weil es sich so anbot, hielt das Kasseler Achsenwerk des Konzerns die Actros-Vorderachse gleich zusätzlich als neue scheibengebremste Aufliegerachse parat. Trotz Einpresstiefe 120, die beim Auflieger bis dahin unüblich war, erzielte Mercedes damit großen Erfolg. Brachte gar die anderen Achsenhersteller dazu, nun ebenfalls Varianten mit Einpresstiefe anzubieten. „Gleichteile mit dem Zugfahrzeug“ sowie notfalls „Verwendung eines einzigen Ersatzrads für den ganzen Zug“ lauteten die Argumente, die einleuchteten.
„TELLIGENT“ ALS NEUES BREMSSYSTEM
Ganz besonders hatten sich die Entwickler bei den Bremsen ins Zeug gelegt. Mit 70 Meter Bremsweg aus 90 km/h sollte sich der Bremsweg, verglichen mit herkömmlichen Trommelbremsen, um ein Viertel verringern. Und wenn der Auflieger ebenfalls mit einer elektronisch geregelten Bremse versehen war, verringerte sich der Bremsweg nach Erkenntnissen der Mercedes-Ingenieure um weitere zehn Meter.
„Telligent“ oder EPB (elektropneumatische Bremse) nannten die Erbauer des Actros das neue Bremssystem, das mit besonders kurzen Ansprechzeiten aufwarten konnte. EPB arbeitete mit zehn bar Druck, sollte nicht nur eine unterschiedliche Abnutzung der Beläge erkennen und ausgleichen können, sondern auch den sogenannten Koppelkräften (Eigenwilligkeiten des Aufliegers während des Bremsens) ohne Extrasensor wirkungsvoll begegnen. Via Schlupfregelung wurde die Koppelkraft dingfest gemacht. Das Werk hat sich dieses Verfahren gleich patentieren lassen.
Mehr Fahrstabilität sollten besonders breite Balgspur, neue Luftfederung und die weiterentwickelte Lenkung schaffen. Dem Partnerschutz auf der Straße dienten neue Matten im Radlauf, die der Gischtbildung entgegenwirkten. Zudem gab es einen Unterfahrschutz vorn, der Kollisionen mit Pkw glimpflicher verlaufen ließ. Der allerdings war nur als aufpreispflichtige Sonderausstattung zu haben.
Auch eine elektronische Wegfahrsperre gehörte zum neuen Actros. Die ließ sich mit einer Alarmanlage koppeln und verfügte über eine Schnittstelle zum Anhänger. Zum Beispiel per Bewegungsmelder im Hänger oder Aufbau war damit ein gewisser Schutz sogar für die Ladung zu erzielen.
SAFETY FIRST
Sicherheit war beim neuen Actros großgeschrieben. Die griffigste Formel für den Fortschritt auf dem Gebiet der Lkw-Sicherheit hieß Mitte der 90er-Jahre „Airbag“. Der verhinderte, dass der Kopf des Fahrers im Ernstfall auf das Lenkrad prallte. Und vermochte Beschleunigungsspitzen zu kappen, die dem Gehirn gefährlich hätten werden können. Der Gurt hingegen bewahrte damals wie heute den Fahrer immer noch vor dem schlimmsten Fall: dass er vom Sitz gerissen wird und womöglich unter die Räder des eigenen Lkw kommt.
Gerade der Airbag gab den Konstrukteuren eine besonders harte Nuss zu knacken. Mussten sie doch sicherstellen, dass dieses temperamentvolle Instrument nicht im falschen Moment losging. „Der Airbag darf in keinem Fall auslösen, wenn das Fahrzeug zum Beispiel bloß über den Bordstein rumpelt“, erläuterte seinerzeit Kay Morschheuser, der sich bei Mercedes mit Fahrzeugsicherheit befasst. Morschheuser weiter: „Da richtet der Airbag bloß Schaden an.“
Blitzschnell musste der Rechner also entscheiden, ob er Zündbefehl gab oder nicht. Die Konstrukteure hielten die Auslöseschwelle prinzipiell hoch. Denn auch auf einen Schlag mit dem Hammer, wobei fast 100 g (100-fache Erdbeschleunigung) entstehen können, durfte der Airbag auch nicht losgehen. Andererseits musste er aber zünden, wenn es sich um einen Crash handelte, bei dem oft weit geringere Verzögerungen entstehen. Aber der Rechner beobachtete die auftretende Verzögerung scharf und zog seine Schlüsse. „Bei 100 g über drei Millisekunden löst der Airbag nicht aus“, beschrieb Kay Morschheuser das trickreiche Verfahren im Actros, „aber bei 30 g über eine längere Zeitspanne tritt der Airbag in Aktion.“ Zupass kam dabei, dass der Sensor für das Unfallgeschehen im Actros seinen Platz an genau dem Sitz hatte, auf dem der Fahrer Platz nahm. Da war er geradezu immer eng am Geschehen und genauestens im Bild.
Der gleiche Sensor löste bei Bedarf auch den Gurtstraffer aus. Das war der Grund, warum im Actros Airbag und Gurtstraffer immer als unzertrennliches Paar auf der Liste der Sonderausstattung in Erscheinung traten. Für einen Gurtstraffer alleine wäre die Sensorik einfach zu teuer gewesen. Nun sitzt die Nasenspitze des Fahrers im Lkw ein wenig weiter entfernt vom Lenkrad als im Pkw. Deshalb konnte es sich Mercedes erlauben, einen Luftsack zu verwenden, der dem Fahrer ein wenig langsamer entgegenkam als im Pkw. Eine andere Art der Faltung machte das möglich. Gewonnen war auf diese Weise im Ernstfall ein weniger harter Zusammenprall von Fahrerkopf und Airbag.
CRASH-TESTS MIT SEHR GUTEN ERGEBNISSEN
Beim Fahrersitz selbst setzte Mercedes Maßstäbe, die den Herstellern von Sitzen viel zu tun gaben. Crash-Tests hatten gezeigt, dass das Maximum dessen, was der Fahrer im Actros überleben konnte, einem Aufprall mit 35 km/h auf eine starre Wand entsprach. Der Lkw ertrug diese barbarische Tortur mit Fassung: „Der Rahmen knickt, das Fahrerhaus knickt, aber der Überlebensraum bleibt erhalten“, sagte Morschheuser. Und weiter: „Sogar die Türen lassen sich noch öffnen.“ Doch traten bei solchen Kollisionen an einem Sitz mit integriertem Gurt heftige Belastungsspitzen von fast 100 g auf, denen bislang kein Fahrersitz auch nur im Ansatz gewachsen war.
Die B-Säule als oberen Ankerpunkt des Gurts zu nutzen, kam für Mercedes nicht infrage: „Sicherheitseinrichtungen müssen so beschaffen sein, dass sie auch genutzt werden“, lautete Frank Wolfs Credo, seines Zeichens damals Leiter Sicherheit bei der Nutzfahrzeugentwicklung Europa. Das war die ebenso simple wie schlüssige Überlegung, die hinter der Entscheidung für einen integrierten Gurt steckte. 95 g hatte Mercedes den Sitzherstellern ins Lastenheft geschrieben. Doch die Sitzhersteller konnten diese Forderung erst kurz nach Anlauf der Serienfertigung erfüllen.
Der Actros stand noch in vielen weiteren Punkten ganz im Zeichen maximaler passiver Sicherheit. So zeigte sich zum Beispiel das Lenkrad von einer Nachgiebigkeit, die den Anforderungen im Pkw entsprach. Für das Armaturenbrett galt die Vorgabe, dass es im Ernstfall nicht splittern durfte. Und auch das Knie des Fahrers bekam es beim neuen Actros mit relativ nachgiebiger Materie zu tun. Trotzdem empfahlen die Entwickler bei der Vorstellung eine defensive Fahrweise: „Ab gerade mal 15 km/h Differenzgeschwindigkeit“, sagten die Techniker, „bleibt der Fahrer bei einer Kollision nicht mehr unverletzt.“
PIONIER DER SICHERHEITSSYSTEME
Auch bei neuesten Sicherheitssystemen wie ESP (elektronisches Stabilitätsprogramm) und ART (Abstandsregeltempomat) sollte der Actros europaweit den Vorreiter spielen. Auf der IAA 2000 hat Mercedes erstmals und als weltweit erster Nutzfahrzeughersteller die „Telligent-Stabilitätsregelung“ (ESP) sowie die „Telligent-Abstandsregelung“ vorgestellt. ESP verhinderte – innerhalb des physikalisch möglichen Spielraums – per gezieltem Eingriff an den Radbremsen sowie der Situation angepasster Dosierung des Motordrehmoments ein Schleudern oder Kippen des Lkw. ART hingegen tastete per Radar das Vorfeld des Lkw ab und erlaubte es dem Fahrer, innerhalb definierter Grenzen einen bestimmten Abstand zum Vordermann einzustellen, den der Lkw dann automatisch hielt. Erkannte das System eine zu knappe Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug, erfolgten gestufte Eingriffe, um die Geschwindigkeit zu verringern: Wegnahme des Gases war der erste Schritt, bei Bedarf traten auch Retarder oder Betriebsbremse bis zu einem gewissen Maß in Aktion.
Drittes im Bunde der anno 2000 gezeigten neuen Sicherheitssysteme war schließlich der sogenannte Spurassistent. Eine kleine Kamera nahm von der Armaturenmitte aus die Spurmarkierungen der Straße ins Visier, ein Rechner kalkulierte die Position des Fahrzeugs. Überfuhr der Lkw nun die rechten oder linken Fahrbahnmarkierungen, ohne den Blinker gesetzt zu haben, dann ließ das System aus den Lautsprechern eine Art Nagelbandrattern ertönen: Kam der Lkw rechter Hand von der Spur ab, ertönte das Rattern aus dem rechten Lautsprecher. Beim Abdriften nach links schallte die Warnung aus dem linken Lautsprecher, sodass der Fahrer intuitiv in die richtige Richtung zurücklenkte.
Bis diese Sicherheitssysteme serienmäßig zu haben waren, dauerte es allerdings noch eine Weile: Den ersten Serien-Lkw, der mit all diesen drei Systemen bestückt war, liefert das Werk dann im März 2002 an die Spedition Heinrich Staill aus Pfakofen bei Regensburg.
INNOVATIVES GETRIEBE
Was den Actros bei der Vorstellung anno 1996 außerdem noch vor allen seinen europäischen Kollegen auszeichnete, das war das automatisierte Getriebe EAS. Ausgeschrieben hieß dieses Kürzel so viel wie elektronische Automatikschaltung. In der Praxis brachte dieses System dem Fahrer die Erleichterung, dass er weder Gänge vorzuwählen hatte wie bei EPS (die Mercedes im Actros immer noch serienmäßig lieferte) noch dass er das Kupplungspedal drücken musste. Die Automatik machte das alles ganz von selbst. Sogar schwierige Übungen wie das Anfahren am steilen Berg absolvierte sie mit Bravour.
Die EAS war genauestens im Bilde über die Verbrauchskennfelder der Motoren und wusste zuverlässig, bei welcher Geschwindigkeit und Last welche Drehzahl die wirtschaftlichste war. Fahrzeuge mit der Halbautomatik EPS erbten von diesem System genau diese wertvolle Information. Beim Actros mit serienmäßiger EPS erschien bei Bedarf im Drehzahlmesser ein variabler grüner Bereich, der dem Fahrer zeigte, welcher Drehzahlbereich momentan der wirtschaftlichste war.
Intensive Modellpflege begleitete den Actros von Anfang an. Um den Verbrauch auch quasi motorextern weiter zu verbessern, rückte das Werk bald von den traditionellen Außenplanetenachsen ab und ersetzte sie zumindest bei den Straßenfahrzeugen ab Oktober 1997 durch die einfach übersetzte Hypoidachse HL8, deren Vorteil geringere Reibungsverluste waren. Im Februar 1998 kam aus ähnlichen Überlegungen das Direktganggetriebe G 211-16. In Arbeit befand sich zudem eine neue, besonders leichte weitere Hypoidachse namens HL6, die statt aus schwerem Guss nun aus geformtem Blech bestand und somit Vorteile bei der Nutzlast versprach.
DIE KABINE ALS WOHNRAUM
Stetig feilte Mercedes auch an der neuen Inneneinrichtung des Actros, deren Anmutung manchem Kunden nicht nobel genug war. Mercedes hatte im Sprinter mit einem hellen, blaugrauen Farbton gute Erfahrungen gemacht und just diese Farbe auf den Actros übertragen. „Vielleicht betrachtet der Lkw-Fahrer die Kabine doch zuerst als Wohnraum und dann erst als Arbeitsplatz“, zog Entwicklungschef Dr. Hartmut Marwitz als Lehre aus den Diskussionen um die Farbgebung. „Wir wollten die Farbumstellung so früh wie möglich“, erläuterte er das Vorgehen, den Actros schließlich ab Januar 1999 mit dunkleren Tapeten auszuliefern.
Auch bei den Ablagen und der Liege besserte das Werk kontinuierlich nach. Zu den besonderen Finessen, welche angeboten wurden, gehörte die anno 1998 vorgestellte Standklimaanlage. „Kühlen ohne Motorlauf“ gab es als Sonderausstattung für die normale L-Kabine (langes Haus) und die Megaspace-Kabine (Hochdach). Diese Standklimaanlage arbeitete nach folgendem Prinzip: Während der Fahrt von der normalen Klimaanlage überschüssig produzierte Kälte wurde einem Kältespeicher zugeführt. Der wiederum bestand aus mehreren Einzelelementen und war mit einem auf Wasser basierenden Speichermedium gefüllt. Die gespeicherte Kälte konnte später dann, wenn der Motor ausgeschaltet war, in die Kabine fließen und dort die Temperatur drücken. Montiert war der Kältespeicher an der Kabinenrückwand über der oberen Liege. Je nach Umgebungstemperatur reichte die Puste dieser Anlage bis zu acht Stunden.
Es kamen außerdem bessere Bremsen: „Verbesserung um Faktor 5“, bezifferte ein Techniker den Effekt der neuen Scheiben, die gleich dick waren wie die alten, nun aber über stärkere Wandscheiben verfügten.
Insgesamt schaffte es der Actros, die mit dem SK am Ende erlittene Talfahrt der Marktanteile zu stoppen und wieder in eine Aufwärtsbewegung umzukehren. Mit dem SK war der Anteil von Mercedes in der schweren Klasse europaweit von 27,7 Prozent anno 1993 auf 19 Prozent im Jahr 1996 gesunken. Mit dem Actros kletterten sie wieder: 21 Prozent standen für 1999 zu Buche.
EINFÜHRUNG DER EURO-3-MOTOREN
Mit Euro-3-Motoren kam Mercedes Ende 1999. Es waren nur geringe Umbauten an den Maschinen der Baureihe 500 nötig, um die verschärften Abgasvorschriften zu erfüllen. Mit Modifizierungen an Kolben, Laufbuchsen und Düsen, dem Einbau eines geregelten Luftpressers sowie einer geregelten Lüfterkupplung geschah das bei der Hardware. Dazu kam freilich auch noch eine entsprechende Änderung am Datensatz der Elektronik. Definitiv trat Euro 3 am 1. Oktober 2001 in Kraft: fünf statt sieben Gramm pro Kilowattstunde Stickoxide waren da verlangt und nur noch 0,1 Gramm Partikel pro Kilowattstunde statt 0,15 wie zuvor.
Noch bevor die zweite Generation des Schweren mit dem Stern am Grill kam, überstieg die Zahl der produzierten Actros-Fahrzeuge 230.000 Einheiten. Und die Kundschaft stammte aus 98 Ländern dieser Erde.

- 1996 Vorstellung Actros 10 MB
- 1996 Test Actros 1840 13 MB
- lao0601-Test-MB-Actros-1853-LS-Megaspace 234 KB
- lao0201-Vergleichstesat-MB-Actros-1843-mit-Euro-2-und-Euro-3 362 KB
- lao0200-Konzeptverfleich-Kipper-Actros-und-Atego_Schwer 459 KB
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