LEICHTE FRONTLENKER-LKW DER LP-REIHE
Es schien, als hätten die Kunden nur auf ihn gewartet: Kaum war der neue, im Januar 1965 vorgestellte LP 608 zu haben, da eroberte er das Segment der mit Pkw-Führerschein zu fahrenden 6,5-Tonner mit Siebenmeilenstiefeln. In seiner Klasse erreichte der neue Frontlenker schon während der ersten beiden Jahre mit mehr als 10.000 produzierten Einheiten den stolzen Marktanteil von 45 Prozent.
Sein erster Auftritt, der vom 20. bis 31. Januar auf dem Automobil-Salon in Brüssel stattfand, galt in dreifacher Hinsicht als Premiere. Zum einen hatte das neue Werk in Wörth am Rhein mit der Vorserie dieses Fahrzeugs die Produktion aufgenommen. Dem neuen LP 608 wurde schließlich sogar die Ehre zuteil, als erster Lkw die am 14. Juli 1965 offiziell eröffnete Lkw-Montagehalle in Wörth zu verlassen.
Zum anderen war Mercedes mit dem LP 608 nun in einem bisher eher vernachlässigten Segment präsent – und hatte damit 1965 einen weiteren wichtigen Schritt hin zum Vollsortimenter mit modernen Frontlenkerkabinen von der leichten bis zur schweren Klasse zurückgelegt. Obendrein sagte der LP 608 mit seinem neuen Vierzylinder OM 314 als einer der ersten Lkw von Mercedes dem Vorkammerprinzip Adieu und setzte auf Direkteinspritzung.
BEWÄHRTER NACHKRIEGSMOTOR ALS BASIS
In seinen Grundfesten ging dieser besonders leicht bauende 3,8-Liter-Motor auf den legendären Nachkriegs-Sechszylinder OM 312 zurück, den das Werk just 1964 bei unverändertem Hubraum (4,6 Liter) vom Vorkammerprinzip auf Direkteinspritzung umgestellt hatte. Aus dem OM 312, der anno 1954 auch schon als einer der ersten aufgeladenen Lkw-Motoren mit Turbo gekommen (OM 312 A) war, wurde im Zuge der Umstellung auf das moderne und verbrauchsgünstige Verfahren der Direkteinspritzung der OM 352.
15 Jahre hatte sich dieser spezifisch leichteste Motor seiner Zeit damals schon in den Lkw der Wirtschaftswunderzeit bewährt und schnell auch internationales Renommee erworben. Längst lief der Sechszylinder in Argentinien, Brasilien und Indien bereits in beträchtlichen Stückzahlen vom Band, als das Werk ihm den neuen Vierzylinder OM 314 zur Seite stellte. Mit seinem großen Bruder OM 352 teilte er als erster mit Direkteinspritzung arbeitender Vierzylinder bei Mercedes die Maße für Bohrung und Hub, die jeweils 97 x 128 Millimeter lauteten.
FLINKER FRONTLENKER
80 PS betrug die Leistung des vierzylindrigen Direkteinspritzers anfangs. Und damit wuselte der wendige Frontlenker, dessen Metier Stadt- sowie Nahverkehr waren, flink durch die Lande. Bei dieser Leistung blieb es auch fürs Erste, als in Gestalt des LP 808 anno 1967 ein erster 7,5-Tonner auf den Plan trat. Als in vier verschiedenen Radständen erhältlicher Pritschenwagen, als Kipper und sogar als Sattelzugmaschine LP 608 LPS hatte sich der kleine Frontlenker zu dieser Zeit bereits einen Namen gemacht und in seiner Klasse schon fast die Hälfte des Markts erobert.
Vom Ur-LP mit der Ziffer 608 in der Typenbezeichnung unterschied sich der neue 7,5-Tonner LP 808 in der Nutzlast: 4,5 statt 3,5 Tonnen hatte er zu bieten. Eine Verstärkung des Fahrgestelles und der Federn sowie eine angepasste Bereifung machten’s möglich. Ab 1969 kletterte die Leistung dann auf 85 PS. Und 1970 erschienen schließlich noch zwei besonders kräftige Kerlchen, die als LP 811 und LP 913 nun doch noch auf den Sechszylinder OM 352 zurückgriffen, sonst aber in Reih und Glied mit dem Grundmodell marschierten.
Sie orientierten sich äußerlich mehr noch als der LP 608 an der großen kubischen Kabine, die Mercedes schon 1963 in der schweren Klasse gebracht hatte. Doch hatten sie einen nahverkehrsgerechten, besonders niedrigen Einstieg aufzuweisen. Der Preis, den die leichten LP dafür zu entrichten hatten, war allerdings ein relativ voluminöser Motortunnel in der Kabine.
Den Zugang zu diesem sogenannten Untersitzmotor gewährte eine Klappe auf dem Motortunnel, über die der Fahrer den Ölstand kontrollieren und gegebenenfalls Schmierstoff nachfüllen konnte. Eine kippbare Kabine sollte in der leichten Klasse erst 1984 mit der Einführung der LK-Reihe kommen, der die als äußerst robust und zuverlässig bekannten Leichten kubischer Prägung dann das Feld räumten.
Zwei größere Frischkuren erlebten die Leicht-LP während ihrer knapp 20-jährigen Karriere. 1977 starteten sie mit glatt gehaltener Gestaltung der Front sowie gefällig aus dem Kühlergrill in den Stoßfänger verpflanzten Scheinwerfern durch und konnten mit einer Vielzahl an technischen Verbesserungen aufwarten. Es kam zum Beispiel die Option auf eine luftgefederte Hinterachse bei den Pritschenwagen.
NIEDRIGER EINSTIEG VS. MEHR RAUM
Die Typenbezeichnung des Grundmodells trug nun auch den leicht erhöhten Leistungen des OM 314 Rechnung und lautete fortan LP 709. Und die Familie konnte sich über weiteren Zuwachs freuen. Neue Zehn- und Elftonner bereicherten das Angebot an Nahverkehrsfahrzeugen mit sehr bequemem, da äußerst niedrigem Einstieg – der Preis dafür war allerdings ein relativ voluminöser Motortunnel im Innern der Kabine: Bei den parallel ab 1965 gebauten und eher mittelschweren LP-Fahrzeugen mit Ursprung Mannheim (acht bis 15 Tonnen, aber ab September 1965 ebenfalls mit kubischer statt rundlicher Frontlenkerkabine) saß das Fahrerhaus höher und erforderte einen zweistufigen Einstieg (statt einer Stufe wie bei den Leichten), weil dort der Motor „unter Boden“ angebracht war, wie es der Technik-Jargon der damaligen Zeit formulierte. Dieses Fahrerhaus bot also mehr Platz als das des leichten LP, war aber beim Einstieg nicht ganz so bequem.
Im Jahr 1979 wanderten schließlich alle Wartungsstellen der leichten LP nach außen. So konnten diese Fahrzeuge der Konkurrenz, obwohl sich kippbare Kabinen dort allmählich durchsetzten, immer noch locker Paroli bieten. Als die leichten LP schließlich im Jahr 1984 abdankten, konnten sie auf eine äußerst erfolgreiche Karriere zurückblicken. Sie hatten nicht nur nach lediglich zwei Jahren Bauzeit schon fast die Hälfte des Markts erobert, sondern ihren Marktanteil dann im Lauf ihres fast 20-jährigen Lebens auf stolze zwei Drittel in ihrer Klasse ausgebaut.