DAIMLER-LASTWAGEN
Pragmatismus prägte die Konstruktion des ersten Lkw der Welt, der wie eine Kutsche mit Motor und ohne Deichsel aussah. Der „Phoenix“ genannte, vier PS starke Zweizylinder-Heckmotor mit 1,06 Liter Hubraum stammte aus dem Pkw. Ihn kombinierte Daimler mit einem Riemenantrieb auf die Hinterachse.
Dort saßen zudem Schraubenfedern, die dem auf Erschütterungen empfindlich reagierenden Motor das Ärgste ersparen sollten. Schließlich rollte das Fahrzeug auf harten Eisenreifen. Per Kette lenkte Daimler die blattgefederte Vorderachse. Wie bei einer Kutsche saß der Fahrer vorne auf dem Fahrerbock. Der Motor befand sich am Fahrzeugheck. Der Verbrauch des Benziners lag bei ungefähr sechs Litern pro 100 Kilometer. In der damaligen Terminologie hieß das „0,4 Kilogramm pro PS und Stunde“.
Andererseits nahm dieses erste als Lkw im heutigen Sinne konzipierte Nutzfahrzeug mit ebener Ladepritsche die heute noch vor allem in Baufahrzeugen üblichen Außenplanetenachsen gewissermaßen schon vorweg: Denn das Riemengetriebe schickte die Kraft des Motors auf eine quer (zur Längsachse des Wagens) montierte Welle, deren beide Enden mit einem Ritzel versehen waren. Jedes dieser Ritzel griff nun seinerseits in die Innenverzahnung eines Zahnkranzes, der mit dem anzutreibenden Rad fest verbunden war. So funktionierten im Prinzip auch jene Außenplanetenachsen, mit denen die schweren Mercedes-Benz-Lkw der Neuen Generation und der ihr folgenden SK-Reihe (1973 bis 1996) eine äußerst erfolgreiche Karriere machen konnten.

Lkw-Programm umfasste 1896 vier Typen
Die Technik musste auch anno 1896 erst noch reifen. Bis in die Bereiche von fünf Tonnen Nutzlast sollte die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) aber zügig vorstoßen. 1898 verlegten Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach den bis dahin am Heck postierten zweizylindrigen Phoenix-Motor unter den Fahrersitz, wobei das Viergang-Riemengetriebe ebenfalls nach vorn wanderte. Doch ließ auch diese Lösung noch einige Wünsche offen. Noch im gleichen Jahr bekam der Lkw dann schließlich jenes Gesicht, das ihn vom Pkw erstmals deutlich unterschied und den Weg zu immer höherer Leistung und Nutzlast ebnen sollte: Der Motor fand seinen Platz nun ganz vorn, war vor der Vorderachse angeordnet und gab seine zehn Pferdestärken über ein Viergang-Zahnradgetriebe sowie durchgängige Längswelle und Ritzel an die Innenzahnkränze der eisenbereiften Hinterräder weiter.

VERBESSERUNG DES MOTORS
Entscheidend verbesserte Daimler bei diesen Fahrzeugen aber nicht nur den Triebstrang, sondern auch den Motor selbst. Statt einer Glührohrzündung entflammte nun die neue Niederspannungs-Magnetzündung von Bosch das Benzin-Luft-Gemisch in den Kolben des 2,2-Liter-Zweizylinders, und auch der Kühler griff auf ein vollkommen neues Konstruktionsprinzip zurück. Im April 1897 hatte Wilhelm Maybach, der Chefkonstrukteur der DMG, seine Versuche mit dem sogenannten Röhrchenkühler abgeschlossen und damit eine entscheidende Verbesserung des Kühlsystems erzielt.
Dieses neue Kühlsystem bestand aus einem Wasserbehälter, der von einer Vielzahl von Messingröhrchen durchzogen war, durch die der Fahrtwind kühlend pfeifen konnte. Damit war es Wilhelm Maybach erstmals gelungen, die drei für die Kühlung elementaren Faktoren Kühlfläche, Luft- und Wassergeschwindigkeit so disponieren zu können, dass die Fragen der Kühlung das Erschließen neuer Leistungsklassen nicht mehr limitierten. Und damit war nicht nur beim Lkw, sondern auch beim Pkw ein großer Schritt in Richtung höherer Leistung getan.
„KUNDENERPROBUNG"-TESTVERFAHREN NACH GOTTLIEB DAIMLER
Doch ließ Gottlieb Daimler – wahrscheinlich wegen der vielen Neuerungen – erst mal Vorsicht walten, bevor er mit dem neuen Fünftonner an die Öffentlichkeit ging. „Kundenerprobung“ hieße jenes Testverfahren heute, dem er das für damalige Verhältnisse hochmoderne Fahrzeug unterzog. Monatelang setzte Daimler seinen neuen Fünftonner den täglichen Strapazen des Betriebs in einer Heidenheimer Ziegelei aus und tilgte die auftretenden Schwächen konsequent.
Dann aber nahm der schwäbische Erfinder gern auch den weiten Weg ins pulsierende Paris auf sich, um die Werbetrommel für das neue Produkt zu rühren. Dort fand im Anschluss an einen vom Automobil-Klub Frankreich durchgeführten Wettbewerb „Motorwagen für den Stadtverkehr“ eine Automobil-Ausstellung in den Tuileriengärten statt, auf der Gottlieb Daimler den neuen Fünftonner sowie einen 4 PS starken Riemenwagen präsentierte. „Große Menschenmengen, viel Wagen aller Art, unser Lastwagen und Taxameter gefallen sehr“, notierte Daimlers Gemahlin Lina zufrieden am 15. Juni 1898.