LKW-PRODUKTION

Weit gespannt ist heute das Produktionsnetz der Lkw von Mercedes-Benz. Der tragende Pfeiler ist mit dem Werk in Wörth die weltweit größte Produktionsstätte für Lkw. Das wiederum stützt sich bei den Komponenten auf Zulieferung aus Werken wie Mannheim Kassel und Gaggenau. Anfangs, in der Frühzeit des Lkw, sah das alles aber ganz anders aus.

DIE SUMME DER TEILE

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Stuttgart und Mannheim sind die Keimzellen des Lkw-Baus von Daimler und Benz. Doch waren lange vor der Fusion beide Fabrikationsstätten bald zu klein, um die jeweilige Lkw-Produktion zusammen mit der ebenfalls florierenden Pkw-Fertigung bestreiten zu können. So kommt es, dass eine Eigenschaft schon früh ins Rampenlicht rückt, die bis heute und in jeder Hinsicht eine zentrale Rolle bei der Produktion von Lkw spielt: Flexibilität.

Umzug von Stuttgart in die Daimler-Fabrik Berlin im Jahr 1903

Schon zu Beginn des 20. Jahrhundert verlegte Gottlieb Daimler die Fertigung von Lkw und Bussen ins Werk Berlin-Marienfelde. Es ist im Jahr 1903, als der Aufsichtsrat der Daimler Motorengesellschaft beschließt, die Fabrikation von schweren Nutzfahrzeugen an das kurz zuvor übernommene Berliner Werk (MMB alias Motorfahrzeuge - und Motorenfabrik Berlin) auszulagern. Bis nach der Fusion im Jahr 1926 fertigte Marienfelde dann am Ende viel mehr als nur schwere Daimler-Nutzfahrzeuge: Bis zum Transporter (damals Lieferungswagen genannt) reichte das Produktprogramm. Ende 1926 aber, als die Fusion vollzogen war, konzentrierte das Unternehmen die Lkw-Produktion im Benz-Werk Gaggenau – und Berlin-Marienfelde fungierte im Weiteren als Reparaturwerk.

Stärkung des Automobilstandortes Gaggenau durch Karl Benz im Jahr 1907

Zu dieser Zeit hat die Benz'scher Seite ebenfalls Gaggenau gestärkt. Begonnen hat dort alles mit einer Kooperation sowie einer Mehrheitsbeteiligung der „Benz & Cie. Rheinische Gasmotorenfabrik“ in Mannheim an der „Süddeutschen Automobilfabrik Gaggenau (SAG)“ in Gaggenau im Jahr 1907. Die beiden Unternehmen schlossen einen Interessenvertrag: Gaggenau stellte die Produktion von Personenwagen ein und das Werk konzentrierte sich vollkommen auf Nutzfahrzeuge. Benz konnte sich im Gegenzug auf den Pkw-Bau fokussieren.

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Vier Jahre später wurde die SAG vom Mehrheitseigner in die „Benz-Werke Gaggenau G.m.b.H.“ umfirmiert. Schon damals gehörte das heutige Mercedes-Benz Werk zu den wenigen Nutzfahrzeugzentren in Deutschland. Beispielsweise stammt die erste motorisierte Feuerlöschspritze für Berlin im Jahr 1907 aus Gaggenau. Später folgte ein komplettes Nutzfahrzeug-Programm von leichten Waren-Lieferwagen über schwere Lkw für sechs Tonnen Nutzlast bis hin zu Omnibussen. Ab 1. Januar 1911 trugen diese Fahrzeuge den Schriftzug “Benz“ auf der Kühlerhaube. Einen epochalen Einschnitt markiert der 10. September 1923: An diesem Tag startete vom Benz-Werk Gaggenau der erste Diesel-Lkw der Welt zu einer Versuchsfahrt. Dabei ergaben sich 25 Prozent weniger Kraftstoffverbrauch als mit Benzol-Motoren, wie die Ingenieure damals zufrieden notierten.

Konzentration der Nutzfahrzeugfabrikation von Daimler-Benz in Gaggenau ab 1926

Nach der Fusion von Benz & Cie. mit der Daimler-Motoren-Gesellschaft im Jahr 1926 übernahm denn Gaggenau die zentrale Rolle beim Nutzfahrzeugbau der neuen Daimler-Benz AG: Alle Lkw sowie sämtliche Busfahrgestelle werden vom Werk Gaggenau geliefert. Aber: Als sich die ab 1929 ausbreitende Weltwirtschaftskrise und der damit verbundene tiefe Einbruch überstanden waren, hat die Daimler-Benz AG aufgrund der steigenden Auftragslage ab 1933 die Nutzfahrzeugproduktion erneut auf mehrere Werke zu verteilt. Kleinere Lkw bis drei Tonnen Nutzlast wanderten nach Mannheim ab.

Schneller Neustart nach 1945

Nach Ende des zweiten Weltkrieges konnte durch die intensiven Wiederaufbau-Arbeiten der Belegschaft schon Ende 1945 wieder der erste Lkw vom Werksgelände rollen. Vier Jahre lang dominierte der standardisierte Lastwagen L 4500 mit Einheitskabine aus Holz das zunächst noch knappe Gaggenauer Nutzfahrzeug-Angebot. Belebung kam erst ab 1949, als die Weiterentwicklung des L 4500 folgte: Der L 5000 war deutlich besser ausgestattet und besaß darüber hinaus ein Stahl-Fahrerhaus.

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1949 wurde die erste Lkw-Neuentwicklung der Daimler-Benz AG nach dem Krieg vorgestellt. Zur technischen Ausrüstung des L 3250 mit Stahl-Fahrerhaus zählten ein Fünfgang-Getriebe und ein 90 PS starker Sechszylinder-Motor. Das zulässige Gesamtgewicht betrug 6,5 Tonnen. Gebaut wurde dieser Lkw jedoch in Mannheim. Ein Jahr später folgte die Neukonstruktion im Segment der schweren Lkw. Es war der heute als Klassiker eingestufte L 6600, ein Fahrzeug mit einer Nutzlast von 6,5 Tonnen, das auf Wunsch auch mit Allrad-Antrieb geliefert werden konnte.

Der Unimog kommt ab 1951 aus Gaggenau

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Ein völlig neues Kapital in der Geschichte der Nutzfahrzeuge wird 1951 aufgeschlagen. Am 3. Juni begann im Werk Gaggenau die Produktion eines Alleskönners mit dem ungewöhnlich langen Namen “Universal-Motor-Gerät“. Bereits im ersten Produktionsjahr rollten 1.005 Fahrzeuge vom Band. Unter dem Akronym “Unimog“ wurde das Fahrzeug nicht nur weltberühmt, sondern bis ins Jahr 2002 mit über 325.000 in Gaggenau gebauten Einheiten auch ein weltweiter Verkaufsschlager.

1954: Frontlenker im Kommen

Die ersten Frontlenker in Gestalt des LP 315 erweiterten ab 1954 das Angebot, von 1956 an erzielte das ausschließlich für das Ausland gebaute Haubenfahrzeug L 326 mit 8,5-Tonnen große Exporterfolge. Ganz neue Wege beschritt man in Gaggenau mit dem “Tausendfüßler“ genannten Frontlenker LP 333, der von 1958 an gebaut wurde. Mit zwei gelenkten Vorderachsen war er eine maßgeschneiderte Antwort auf die restriktiven neuen Vorschriften des deutschen Bundesverkehrsministeriums bei Maßen und Gewichten.

1959: Hauber up to date gehalten

Der klassische Hauben-Lkw war damit aber noch lange nicht aus dem Entwicklungsprogramm gestrichen. 1959 stellte Daimler-Benz die neuen “Rundhauber“ vor: Die mittelschweren Varianten produzierte das Werk Mannheim. Die Schweren, im Export bis in die 1990er Jahre sehr erfolgreich, fertigten bis Dezember 1967 die Gaggenauer.

1973: MBtrac – ein Bruder des Unimog

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Ein ebenbürtiger Bruder des Unimog, allerdings mit starrer Hinterachse, bereicherte die Gaggenauer Produktionsbänder ab Juli 1973. Die Fahrzeuge des MBtrac-Programms waren Schlepper mit Allrad-Antrieb, vier gleich großen Rädern, Portalachsen, hoher Zugkraft, festem Komfort-Fahrerhaus, Servolenkung, gefederter Vorderachse und genormter Dreipunkt-Kraftheber-Hydraulik. Eine solche Konzeption hatte der Schleppermarkt noch nie zuvor gesehen. Bis zur Einstellung des MBtrac im Jahr 1991 wurden über 40.000 Einheiten gebaut.

2002: Kompetenzzentrum Achsen und Getriebe

Nach über 50 Jahren Unimog-Fertigung gab das Werk Gaggenau im Jahr 2002 schließlich auch diesen Produktionszweig nach Wörth ab und übernahm im Gegenzug die Funktion eines Kompetenzzentrums für mechanische und automatisierte Getriebe. So ist das Werk im Murgtal heute dem Lkw nur mehr indirekt verbunden und hat dafür die Rolle des Zulieferers für andere Mercedes-Benz Werke übernommen. Bis heute haben rund zehn Millionen Getriebe aus dem Werk Gaggenau ihren Weg in die Welt angetreten.

Heute ist in Gaggenau die Fertigung von speziellen Komponenten wie Achsen, Getrieben und Drehmomentwandlern, sowie diverse Bauteile für viele Konzernprodukte angesiedelt. Berühmt sind zum Beispiel die Lkw-Außenplanetenachsen, die Gaggenau seit ihrer Einführung 1972 in der so genannten „Neuen Generation“ fertigt und die heute noch vor allem die Baufahrzeuge der Arocs-Reihe sowie den Econic und den Zetros aus dem Sonderfahrzeugprogramm antreiben. Weit mehr als 2,5 Millionen Achsen hat das Werk Gaggenau bis heute insgesamt produziert und ist der weltgrößte Hersteller von zweistufigen Außenplanetenachsen sowie Portalachsen.

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Gaggenau und Mannheim am Limit

Ende der fünfziger Jahre sind die Lkw-Werke der damaligen Daimler-Benz AG in Mannheim (leichte Fahrzeuge zwischen sechs und zwölf Tonnen Gesamtgewicht) und Gaggenau (schwere Lkw über zwölf Tonnen) voll ausgelastet. Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders: Die Nachfrage wächst, lange Lieferzeiten sind üblich. Die beiden Traditionsstandorte aber können zusammen nicht mehr als 150 Lkw am Tag und damit 40 000 Lkw im Jahr produzieren. Sie liegen aufgrund ihrer Historie beide innerstädtisch, was eine weitere Ausdehnung kaum zulässt. 1963 aber organisiert der Konzern seine Fertigung komplett neu. Innerhalb des Konzepts sollen Gaggenau und Mannheim von der Lkw-Fertigung entlastet werden, Sindelfingen die bisherige Fahrerhaus-Fertigung zugunsten der Pkw-Produktion abgeben und Wörth zum zentralen Lkw-Werk der Marke heranwachsen. Ein Schritt, der zugleich Parallelfertigungen vermeidet. Geplant ist eine Kapazität von etwa 200 bis 220 Lkw am Tag – und damit rund 50.000 Lkw im Jahr. Es ist die Hälfte dessen, was Wörth Jahrzehnte später in Jahren mit Top-Konjunktur ausstoßen wird.

Trotzdem agiert Daimler-Benz vorsichtig: Das Risiko für ein völlig neu zu errichtendes Lkw-Werk scheint zu hoch, denn das Unternehmen kalkuliert für die Zukunft mit maximal 50 000 Lkw pro Jahr. Stattdessen soll ein zentrales Motorenwerk beide Standorte beliefern sowie entlasten und gleichzeitig die Fertigung der Großmotoren aus Stuttgart übernehmen.

Das Werk Wörth

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Die Entscheidung fällt auf das südpfälzische Wörth, wenige Kilometer westlich von Karlsruhe gelegen und fast in der Mitte zwischen Mannheim und Gaggenau. In Wörth findet sich auf einer ehemaligen Rheininsel ein Areal von 1,5 Millionen m². Bundesstraßen mit Anschluss zur nahen Autobahn, ein geplanter Rheinhafen, eine Bahnstrecke – die Anbindung des Geländes ist ausgezeichnet. Darüber hinaus bemühen sich sowohl das Fischerstädtchen Wörth als auch das Bundesland Rheinland-Pfalz engagiert um den potenziellen Investor und attraktiven Arbeitgeber Daimler-Benz.

Die Rolle als zentrale Fertigungsstätte für Lkw ging schon in den 60er-Jahren an den Standort Wörth am Rhein, der sich in den vergangenen gut fünf Jahrzehnten prächtig entwickelt hat: Jeder zweite heutzutage in Deutschland zugelassene Lkw ist ein Mercedes-Benz aus Wörth. Von dieser Fabrik aus werden rund 150 Länder auf der ganzen Welt mit Lastkraftwagen beliefert. Über 11.000 Mitarbeiter arbeiten im größten Lkw-Werk der Welt und produzieren im Jahr rund 100.000 Einheiten.

Im Oktober 1963 liefert Wörth den ersten Fahrerhaus-Rohbau

Die Verlagerung der Produktion erfolgt schrittweise, parallel zum Bau des neuen Werks in Wörth. Bereits am 1. Oktober 1963 (17) beginnt die Fertigung der ersten Fahrerhaus-Rohbauten für die Werke Mannheim und Gaggenau, bisher kamen sie zentral aus dem Werk Sindelfingen. Ab Frühjahr 1964 liefert Wörth die Fahrerhaus-Rohbauten für sämtliche Lkw mit Stern. Als nächstes folgt Ende 1964 der Übergang der Fertigung zu komplett lackierten Fahrerhäusern. Die neue Lackieranlage ist hochmodern: Erstmals in einem Lkw-Werk wird in Wörth die Grundierung nicht mehr manuell mit der Spritzpistole aufgetragen, sondern die Beschichtung erfolgt durch Tauchlackierung.

Derweil wird die Produktion im neuen Werk weiter ausgebaut: Dem ersten vollständigen Fahrerhaus einschließlich Innenausbau im Frühjahr 1965 folgt bereits am 14. Juli 1965 der Bandablauf des ersten kompletten Lkw aus Wörth. Dieser LP 608 gehört zu einer neuen Baureihe von leichten Lkw. Die mittelschweren und schweren Lkw folgen in jährlichen Schritten bis 1967, gleichzeitig mit Modellwechseln. Bereits 1968 werden Lkw-Selbstabholer erstmals im Rahmen einer Fahrerschulung gründlich in ihr neues Fahrzeug eingewiesen. Das ist der Kern des heutigen Fahrertrainings mit vielen tausend Teilnehmern im Jahr.

Montagehalle von Format

Glanzstück des neuen Werks Wörth ist die 750 m lange und 50 m breite Montagehalle. Auch heute noch zählt sie, längst auf 1000 m Länge erweitert, zu den größten Montagehallen der Welt im Fahrzeugbau. Von Anfang an typisch für die Produktion ist die Fertigung unterschiedlicher Modellreihen auf einem Band. Anfangs aus der Not geboren – es gab nur ein Montageband –, ist das Verfahren heute wegen der daraus resultierenden Flexibilität einer der größten Vorzüge des Werks.

Die Entscheidung für das zentrale Lkw-Montagewerk in Wörth erweist sich schnell als goldrichtig: Bereits 1969 fertigt das Werk über 42 000 Komplettfahrzeuge und zusätzlich mehr als 11 000 Teilesätze für die Montage im Ausland, so genannte CKD-Bausätze (CKD = Completely Knocked Down). Nach den ursprünglichen Planungen ist das Werk damit voll ausgelastet.

Es ist eine Zeit der wirtschaftlichen Konzentration: Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre übernimmt Daimler-Benz zunächst die Lkw-Verkaufsorganisation von Krupp und dann den Nutzfahrzeug-Hersteller Hanomag-Henschel mit seinem Lkw-Werk Kassel. Das sind die ersten wichtigen Schritte, die Daimler-Benz sukzessive zum größten Lkw-Hersteller der Welt avancieren lassen.

Sechsstellige Jahresproduktion

Gleichzeitig wächst die Produktion in nie geahnte Höhen. 1975 knackt die Fertigung von Komplettfahrzeugen und CKD-Bausätzen erstmals die Marke von 100.000 Einheiten. Ökonomischer Kontext: Die Wirtschaft hat sich von der ersten Ölpreiskrise erholt, die Lkw-Nachfrage steigt.

Parallel dazu wächst die Zahl der Mitarbeiter: Beläuft sie sich 1965 auf 2600 Köpfe, so überschreitet sie 1981 erstmals die Marke von 10.000 Arbeitern, Angestellten und Auszubildenden. Unter den angehenden Mitarbeitern sind seit 1978 erstmals weibliche Auszubildende in technischen Berufen. Im gleichen Jahr weiht das Werk ein neues Ausbildungsgebäude ein. 1978 wird in Wörth eine neue CKD-Verpackungshalle einschließlich Container-Verladung errichtet. Die weltweite Nachfrage nach den Bausätzen, die im Zielland montiert werden, steigt. 1981 wird der 10.000ste CKD-Container verschifft.

Die Jahresmarke von 100.000 Lkw ist auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder ein Ziel. Die Rekordzahlen fallen zusammen mit einem Modellwechsel: 1973/74 tritt die „Neue Generation“ (NG) schwerer Lkw an. Die Fahrerhäuser der neuen Lkw sind nach dem Baukastenprinzip aufgebaut, sämtliche Ausführungen basieren auf einem einzigen Grundmodell. Die Zahl der Bauteile sinkt, mehr als die Hälfte der bisher notwendigen Montageschritte entfällt. Das bietet die Chance für neue Fertigungsverfahren, beispielsweise die Mechanisierung der Fertigungsstraße für den Fahrerhaus-Rohbau.

Erfolgsgeschichten im Nutzfahrzeugbau

Ende 1980 feiert das Werk ein großes Jubiläum: Der millionste Lkw läuft vom Band. Es ist eine Zeit der Rekorde: 1981 klettert die Fertigung auf 110 125 Lkw – ein Rekord auf lange Jahre. Die Infrastruktur des Werks wächst mit: 1980 wird ein neues Betriebsrestaurant eingeweiht, denn das erste Gebäude von 1967 wurde der großen Nachfrage der steigenden Mitarbeiteranzahl nicht mehr gerecht. Ab Ende 1981 weicht das klassische Menü der Selbstbedienung mit freier Auswahl. Das Werk ist damit Vorreiter im ganzen Unternehmen.

Doch es gibt nicht nur goldene Jahre: Mitte der achtziger Jahre sackt die Nachfrage ab, 1986 fertigt das Werk nur noch knapp 70 000 Lkw. In dieser Zeit bewährt sich die Flexibilität des Unternehmensverbunds. Mehrere Jahre pendeln Wörther Mitarbeiter in die Fertigung nach Sindelfingen und unterstützen die dortige Pkw-Fertigung. Betriebsbedingte Entlassungen werden so vermieden.

Das Kundencenter informiert die Kunden

Auch in schweren Zeiten investiert das Werk: 1985 nimmt ein neues zentrales Teilelager den Betrieb auf. 1988 startet das neu errichtete Kundencenter (22), Nachfolger der sogenannten Selbstabholerhalle. Zur Eröffnung feiert das Werk Geburtstag. 25 Jahre nach der Eröffnung zählt es exakt 11.586 Beschäftigte. Mit genau 82.422 Lkw steigen auch wieder die Stückzahlen. Das Werk Wörth richtet zudem eine neue Lackieranlage ein, die umweltschonender und effektiver arbeitet und zusätzlich die Qualität steigert. Spritzautomaten ersetzen – von einigen Komponenten abgesehen – das herkömmliche Auftragen des Decklacks von Hand mit der Spritzpistole.

Die Deutsche Einheit beschert eine Sonderkonjunktur

Bald darauf profitiert das Werk von einer Sonderkonjunktur: Ein Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung steigt die Produktionszahl 1991 mit mehr als 102.000 Lkw wieder auf einen sechsstelligen Wert. Die Infrastruktur ändert sich: Das neue zentrale Ersatzteillager im nahegelegenen Germersheim übernimmt die weltweite Versorgung mit Teilen.

Um das Werk trotz schwankender Konjunktur sicher in die Zukunft zu führen, werden alle Arbeitsabläufe überprüft, die Zahl der Führungsebenen deutlich vermindert und die Arbeitsorganisation gestrafft. Das Werk Wörth wird schlanker und wappnet sich für raue Zeiten. Dazu gehört die Ausgliederung der Kunststoffteile-Fertigung ebenso wie die neue Zuordnung des Werks zum Geschäftsbereich Lkw.

Umbruch in der Montage

Auch die Infrastruktur verändert sich. Das werkseigene Heizwerk wird von Heizöl auf Erdgas umgestellt. Das spart nicht nur Brennstoff, sondern senkt gleichzeitig die Emissionen. 1992 entsteht unter der Überschrift „Rohbau 2000“ eine komplett neue Fahrerhausfertigung mit hochflexiblen Fertigungsinseln und fahrerlosen Transportsystemen – jetzt können alle Kabinen in nur einer Vorrichtung entstehen.

Es ist ein Vorgriff auf neue Fahrzeugmodelle, ebenso wie Ende 1995 eine neue Montage mit U-förmiger Fertigungslinie. Jetzt wird erstmals das komplette, bis zu 120 kg schwere Cockpit vormontiert und montagefertig ins Fahrerhaus gesetzt. Dessen Türen montieren die Werker zuvor ab, sie werden separat in der Vormontage bestückt. Das schafft Platz zum Einbau des Interieurs und mehr Raum rund um das Fertigungsband und schützt den Lack. Die Fahrerhäuser bewegen sich in der Montage auf einer Schubplatte mit einem Hubtisch. Somit können die Mitarbeiter nahezu alle Arbeiten in ergonomisch angenehmer Arbeitshöhe erledigen.

Revolution beim Lkw

Die neue Montage kündigt Modellwechsel an: In einem Kraftakt erneuert Mercedes-Benz binnen kurzem sein komplettes Lkw-Programm. Im Mittelpunkt steht der neue schwere Lkw Actros. Zwei Tage vor Weihnachten startet am 22. Dezember 1995 in Wörth die Pilotserie des rundum neuen Lkw, seine Publikumspremiere erlebt er im September 1996 auf der IAA.
1996 ist gleichzeitig ein Jubiläumsjahr: Der von Gottlieb Daimler erfundene Lkw feiert seinen 100. Geburtstag. 55 000 Besucher sind am Festwochenende zu Gast, sie besichtigen das Werk und ein großes Lkw-Oldtimertreffen.

Zuwachs durch BIC, Axor, Unimog, Econic

Kundenservice wird in Wörth großgeschrieben: Am 1. Juni 2000 öffnet in Wörth das Branchen-Informations-Center (BIC) seine Tore. Besucher können hier 21 Branchenlösungen von 14 Aufbauherstellern begutachten und Probe fahren. Heute bietet das BIC den Fachbesuchern mit etwa 175 Komplettfahrzeugen von 70 Aufbauern ein Vielfaches des Angebots. Das BIC hat längst den Charakter einer Branchenmesse und ist in dieser Größe und Vielfalt weltweit einmalig. Bereits zwei Jahre nach der Einweihung des BIC kommt im 25 km entfernten Ötigheim eine Teststrecke speziell für Baufahrzeuge und den Unimog hinzu – heute genießt die Kiesgrube Ötigheim in Fachkreisen einen legendären Ruf.

Zuwachs gibt es auch an ganz anderer Stelle: Im Jahr 2002 integriert das Werk Wörth die Fertigung des Unimog, bisher traditionell in Gaggenau angesiedelt. Daraufhin zogen ebenfalls aus Gaggenau die für das Fahrzeug zuständigen Entwicklungs- und Vertriebsbereiche hinzu. Ein Jahr später wechselt der Econic aus Zwickau und Arbon (CH) nach Wörth; später wird der allradgetriebene Hauben-Lkw Zetros folgen.

Diese Lkw werden zu Mercedes-Benz Special Trucks zusammengefasst und im Werk in einer separaten Produktionshalle gefertigt. Auch die Lkw-Linien bekommen Zuwachs, denn Mercedes-Benz führt 2002 den Axor ein, einen Truck an der Nahtstelle zwischen mittleren und schweren Lkw, zwischen Verteiler- und Fernverkehrsfahrzeug.

Den Anforderungen an eine gleichermaßen rationelle und umweltgerechte Fertigung bei den Lkw wird seit dem Jahr 2005 in der Lackieranlage eine neue Vorbehandlung gerecht. Eine neue Decklackstraße folgt. Im Juli 2006 feiert das Werk ein großes Jubiläum: der dreimillionste Lkw aus Wörth wird an eine französische Spedition ausgeliefert. Es sind glanzvolle Zeiten, die Fertigung läuft auf vollen Touren. Das Werk Wörth produziert jährlich wieder rund 100.000 Lkw.

Verzahnung mit dem Versuch

Entwicklung und Produktion in enger Zusammenarbeit – diese Verzahnung wird im Jahr 2008 mit dem Entwicklungs- und Versuchszentrum für Lkw (EVZ) noch besser. Das Areal liegt in unmittelbarer Nähe des Werks und umfasst eine Fläche von 550.000 m². Es ist für Tests aller Art geeignet, von Schlechtwegprüfungen bis zum Dauerlauf und dient als hochpräzises Messinstrument.

Die innere Fläche besteht aus zahlreichen Schlechtwegstrecken mit 14 verschiedenen Fahrbahnprofilen. Hier sind zum Teil Originalfahrbahnen aus aller Welt exakt und reproduzierbar nachgebildet worden um das länderspezifische Fahrverhalten zu simulieren. Die äußeren Fahrbahnen in Form eines Ovals sind knapp zwei km lang. Die überhöhten Kurven haben Neigungswinkel bis zu 49 % und 26 Grad für Schnellfahrversuche. Kreisbahnen, eine Kreisplatte und Steigungshügel sowie eine Kiesverladestation und ein Baustellengelände ergänzen die Versuchsstrecke. Hinzu kommen Werkstatt- und Bürogebäude.

Hoch und Tief

Das Jahr 2008 wird sogar zu einem Superlativ in der Werksgeschichte: Mit 113.370 Lkw erreicht Wörth einen Allzeitrekord. Der Schock setzt aber bereits im Herbst 2008 ein: Die weltweite Finanzkrise führt zu einem enormen Wirtschaftseinbruch. Zunächst profitieren Werk und Mitarbeiter noch von den gut gefüllten Zeitkonten aus der Phase der Hochkonjunktur und Überzeiten werden abgebaut.

Ab Frühjahr 2009 ist in der Lkw-Produktion Kurzarbeit aber nicht zu vermeiden, denn die weltweite Nachfrage nach Lkw ist um rund 50% eingebrochen. Im Jahr 2009 verlassen nur 44.438 Lkw das Werk. Das Werk nutzt die Phase zu einem breit angelegten Weiterbildungsprogramm. Erneut können betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden. Ausgenommen von den Einschnitten sind die Beschäftigten von Mercedes-Benz Special Trucks in der Montage von Unimog und Econic, denn hier liegen genügend Aufträge vor.

Ausbildung großgeschrieben

Im Spätsommer 2010 begrüßt das Werk auch 118 neue Auszubildende, darunter den 5000. Azubi seit Beginn der Berufsausbildung in Wörth im Jahr 1964. Das Werk bildet inzwischen in sechs technischen und drei kaufmännischen Berufen aus und bietet darüber hinaus fünf Studiengänge an der Dualen Hochschule an. Ausbildung hat Zukunft in Wörth: Ab 2012 wird die Zahl der Ausbildungsplätze auf jährlich 150 vergrößert.

Das Werk profitiert vom Ideenreichtum seiner Mitarbeiter: Die Wörther Mannschaft reichte im Jahr 2011 fast 11.000 Verbesserungsvorschläge ein, von denen knapp die Hälfte umgesetzt wurden. Die Mitarbeiter profitieren ihrerseits durch verschiedenste Prämien.

Euro 6 klopft an

Der Modellwechsel zum neuen Schwer-Lkw Actros im Jahr 2011 läutet die größte Produktoffensive in der Geschichte von Mercedes-Benz Lkw ein. Auf den neuen Actros folgen innerhalb kurzer Zeit im Vorgriff auf die kommende Abgasstufe Euro 6 ebenfalls Antos, Arocs, Atego, Unimog und Econic. Damit ist Mercedes-Benz der erste Hersteller der sein komplettes Produktportfolio auf Euro 6 umgestellt hat – ein halbes Jahr vor in Kraft treten der neuen Abgasnorm. Der komplette Modellwechsel, verbunden mit einer Parallelfertigung der neuen und der bewährten Modelle und der gleichzeitigen Erneuerung der Special Trucks ist zudem Anlass, Werk und Produktion zu optimieren.

Die Umstellung auf die neue Produktgeneration ist Anlass für zahlreiche Investitionen. Ein automatisiertes Kleinteilelager, das erste in der Nutzfahrzeugbranche, wird errichtet, als Basis für ein neues Logistikkonzept. Eines von vielen Beispielen neuer Produktionstechniken findet sich im Rahmenbau. Hier werden Anbauteile an unterschiedlichen Positionen befestigt, es gibt dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten. Deshalb wird bei den neuen Modellen die CAD-Dokumentation aus der Entwicklung übernommen und für den Werker als lesbare Montage-Information per Laser direkt auf dem Rahmenlängsträger angezeigt.

Automatisierung schreitet voran

Somit weiß er, wo Bauteile positioniert werden müssen, welches Verbindungselement – etwa eine Schraube – zu verwenden ist und welches Anzugsdrehmoment für diese Schraube vorgegeben ist.

Nicht weniger faszinierend ist eine neue wasserlackbasierte Decklacklinie, sind Robotergärten im Rohbau, in denen sich Roboter Teile zur Weiterverarbeitung übergeben, ist das automatisierte Einkleben der Windschutzscheibe durch Roboter.

Parallel zum eingeleiteten Modellwechsel beim Actros produziert das Werk Wörth im Jahr 2011 knapp 108.000 Lkw – die Finanzkrise scheint schon vergessen. Trotz Steigerung der Produktion um rund ein Drittel sinken in diesem Jahr die Emissionen von Schwefeldioxid und NOx deutlich. Der Verbrauch an Erdgas und Heizöl sinkt, der Stromverbrauch steigt nur um zehn Prozent. Die Abfallmengen bleiben unverändert – ein Zeichen höherer Effizienz. Und sie steigt weiter: Ab Jahresende 2012 senkt ein neues Blockheizkraftwerk den Energieverbrauch um rund ein Viertel und die CO2-Emissionen um etwa 15 Prozent – das entspricht 22.000 Tonnen weniger CO2-Ausstoß.

Beispiellose Flexibilität

50 Jahre nach dem Bandablauf der ersten Lkw-Fahrerhäuser ist das Werk Wörth nicht nur das Kopfwerk innerhalb des weltweiten Produktionsnetzwerks von Mercedes-Benz, es ist mit einer Kapazität von mehr als 100.000 Lkw im Jahr und mehr als 11.000 Mitarbeitern auch das größte Lkw-Werk der Welt. Das größte Werk ist auch das flexibelste: Heute entstehen auf dem Werksgelände in bunter Reihenfolge die Baureihen Atego, Antos, Actros und Arocs. Hinzu kommt die separate Fertigung von Mercedes-Benz Special Trucks auf dem Werksgelände mit Unimog, Econic und Zetros. Alles zusammen ist eine beispiellose Variantenvielfalt und unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten.

Jeden Tag treffen rund 500 Lkw-Ladungen mit Material ein. Im Gegenzug verlassen täglich bis zu 470 neue, exakt nach Kundenwunsch gebaute Lkw das Werk. Die Diversität ist so hoch, dass es schon als Seltenheit gelten kann, wenn ein Fahrzeug dem anderen in allen Details gleicht.

Das Werk Kassel – Achsen und mehr

Europas größtes Achsenwerk kann auf eine lange Tradition zurückblicken und schrieb viele Jahre lang selbst Lkw-Geschichte. Handelt es sich beim regen Wareneingang in Wörth um Achsen, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie aus Kassel stammen. Zwar liefert Gaggenau die legendären Außenplaneten- sowie Portalachsen zu, doch das Gros der in Wörth verbauten Achsen kommt aus Kassel: Europas größtem Achsenwerk.

Doch ist diese Spezialisierung relativ jung. Und die Geschichte des Werks, das schon mehr als 200 Jahre besteht, könnte insgesamt kaum facettenreicher sein. Gut anderthalb Jahrhunderte ist die Historie mit dem heute noch klangvollen Namen Henschel verbunden.

1925 fertigt das Unternehmen einen ersten Lkw. Der basiert auf einer Lizenz des schweizerischen Lkw-Herstellers FBW (Franz Brozincevic aus Wetzikon), verfügt über fünf Tonnen Nutzlast und einen Motor mit 50 PS. Noch im gleichen Jahr erweitert Henschel das Lkw-Angebot um ein gestandenes Programm von Lastwagen von drei bis sechs Tonnen Nutzlast. Im Nutzfahrzeugbau macht Henschel Furore durch Innovationen wie ein patentiertes Fahrerhaus mit Liege (1929) oder einen hydraulisch betätigten Kipper (1930). Das Nutzfahrzeugprogramm von Henschel wächst und gedeiht. Ein Sechszylinder-Diesel mit 125 PS ist das Ergebnis des Ringens um einen eigenen Motor. Und der treibt die verschiedensten Fahrzeuge wie den Dreiachser 36 J 3, den Sechstonner 6 J, sowie einen Sattelschlepper an, der es bis auf 36 Tonnen Gesamtgewicht bringen kann: Ein Auflieger mit zwei Anhängern im Schlepp macht’s als siebenachsiger Zug möglich.

In den 50er Jahren geht die Entwicklung mit einem Feuerwerk an Neuheiten weiter. Es kommen der Lkw HS 100 sowie der HS 115 mit Allradantrieb, der HS 120 und der Schwer-Lkw HS 170 So genannte Tram-Lkw mit Motor in der Kabine entstehen, Frontlenker-Omnibusse in Leichtmetall-Schalenbauweise und auch der mächtige dreiachsige allradgetriebene Muldenkipper HS 3-180. Henschel entwickelt luftgefederte Lkw und Omnibusse.Im Jahr 1961 überrascht Henschel auch mit einem komplett neuen Programm von Frontlenkern und Haubenwagen, Aufsehen erregend gestaltet vom Designer Louis Lepoix. Er führt ein Baukastensystem ein: Mehr als zwei Drittel der Teile von Frontlenker und Hauber sind identisch.

Kurzfristig übernimmt 1968/69 die damalige Daimler-Benz AG zunächst 51 Prozent der Anteile der zusammen mit Rheinstahl neu gegründeten Hanomag-Henschel Fahrzeugwerke, bald darauf 100 Prozent. Es folgt ein reger Austausch von Komponenten und Fahrzeugen unter den Marken. Die Lkw von Hanomag-Henschel erhalten Motoren und Achsen von Daimler-Benz, schwere Henschel-Kipper wiederum integriert Mercedes-Benz unter eigenem Markenzeichen und mit eigenen Komponenten in seinem Programm. Es fehlt an allradgetriebenen Frontlenkern. Und da springen Henschel-Fahrzeuge, mit Mercedes-V-Motoren und Mercedes-Außenplanetenachsen bestückt, in die Bresche.

Für die Henschel-Lkw geht das Licht aus

1974 indes rollen die letzten Lkw unter dem alten Henschel-Markenzeichen aus den Hallen; es sind Fahrgestelle für Betonmischer. In 50 Jahren sind damit genau 111.555 Henschel-Lkw entstanden. Bis zum 22. März 1980 laufen in Nordhessen noch Haubenwagen für Mercedes-Benz vom Band, dann entwickelt sich Kassel endgültig zum Komponentenwerk für Nutzfahrzeuge innerhalb des Konzerns.

Die Übernahme von Hanomag-Henschel hat für Daimler-Benz große Bedeutung: Nach dem Bau des Lkw-Werks Wörth 1965 und der Akquisition von Krupp 1967 bildet sie den vorerst letzten Mosaikstein auf dem Weg zur Nummer eins unter den Nutzfahrzeugherstellern der Welt. Nicht zuletzt können neben den Henschel-Fahrzeugen und ihrem Vertriebsnetz auf diese Weise leichte Transporter ins Programm aufgenommen werden.

Neue Rolle für Kassel im Produktionsverbund

Heute stellt das Werk Kassel einen wichtigen Baustein im Nutzfahrzeug-Produktionsverbund von Mercedes-Benz dar. Seit 1973 werden hier in enormen Stückzahlen Achsen gefertigt; seit 1977 ist Kassel das zentrale Achsenwerk der Nutzfahrzeugsparte. Parallel zur Lkw-Produktion fertigt Kassel von 1973 bis 1980 überdies genau 44.337 Mercedes-Benz-Motoren.

Es entsteht ein eigener Produktbereich

Das Achsenwerk Kassel bleibt aber das größte seiner Art in Europa, fungiert ab 1997 innerhalb des damals neu gegründeten Geschäftsbereichs Powertrain als Produktbereich Achsen mit integriertem Vertrieb, Entwicklung und zweitem Produktionsstandort Gaggenau. Kassel kann 2001 das Jubiläum von zehn Millionen produzierten Achsen feiern, worunter auch schon 100.000 Einheiten der seit 1996 gefertigten Trailerachsen sind. Sie basieren auf der scheibengebremsten Vorderachse des Schwer-Lkw Actros und tragen wesentlich dazu bei, dass Scheibenbremsen auch an der gezogenen Einheit bald zum Standard werden.

Das heutige Produktprogramm ist sehr weit aufgefächert: Vorder- und Hinterachsen für Vans, Geländewagen, Transporter, Lkw und Omnibusse; hinzukommen Gelenkwellen sowie Ausgleichsgetriebegehäuse für Pkw.

Das Werk Mannheim

Tief in die Historie reichen auch die Wurzeln des Werks Mannheim, das den heutigen Lkw von Mercedes-Benz die Motoren liefert.

Im Jahr 1908 beginnt die Produktion in diesem neu gebauten Werk der Aktiengesellschaft Benz & Cie., Rheinische Gasmotoren-Fabrik in Mannheim. Offiziell eingeweiht wird die Anlage auf dem Luzenberg in Mannheim-Waldhof am 12. Oktober 1908. Zu diesem Zeitpunkt sind rund 35.000 Quadratmeter mit Fabrikgebäuden überbaut.

Es ist eine Zeit, in der die Geschäfte gut gehen. Für volle Auftragsbücher sorgen nicht allein die technischen Qualitäten der Benz-Autos, sondern auch Dienstleistungsangebote für die Käufer. So unterhält das Mannheimer Werk vor dem Ersten Weltkrieg eine eigene Fahrschule, in der Chauffeure aus den Reihen der Mitarbeiter ausgebildet werden.

Insgesamt gliedern sich die Benz-Werke nun in drei Fabriken: Das neue Werk in Mannheim-Waldhof ist die Zentrale, wo vor allem die Personenwagen gebaut werden. Im alten Werk in der Waldhofstraße entstehen Gewerbemotoren und Schiffsmotoren, das Werk in Gaggenau schließlich kümmert sich um Konstruktion und Bau von Nutzfahrzeugen.

Wiege des Diesels

Zu Beginn des Ersten des Weltkriegs wird das Werk in den Jahren1914/15 deutlich erweitert. Eine zweite große Neuerung ist die Gründung der Ausbildungsabteilung im Jahr 1916. Zu den wichtigsten Innovationen der Nachkriegszeit bei Benz & Cie. gehört die Arbeit an Fahrzeug-Dieselmotoren. Die Grundlagen für die neue Technik schafft der Dieselpionier Prosper L’Orange, der seit 1908 bei Benz als Leiter des Motorenversuchs arbeitet: 1909 entdeckt er das Vorkammerprinzip, 1919 folgt die Nadel-Einspritzdüse und 1921 die regelbare Einspritzpumpe. Das erste Landfahrzeug, das mit einem Dieselmotor ausgestattet ist, kommt denn auch aus Mannheim: 1922 stellt Benz & Cie. einen zusammen mit dem Münchener Landmaschinenhersteller Sendling entwickelten Dreirad-Ackerschlepper vor.

Am 14. April 1923 beschließt Benz & Cie., nach erfolgreicher Einführung des Diesel-Vorkammer-Prinzips die Serienfertigung eines Vierzylinder-Dieselmotors aufzunehmen. Der Typ OB 2 leistet zunächst 45 PS (33 kW) bei 1000/min. Diese ersten Diesel-Lkw der Welt kommen als Versuchsfahrzeuge auch im Mannheimer Werksverkehr zum Einsatz. In Serie geht der Lkw dann 1924 mit einer auf 50 PS (37 kW) gesteigerten Leistung.

Auf dem Weg zur Fusion

Erste Überlegungen zum Zusammenschluss der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) mit Benz & Cie. gibt es bereits 1919, um Synergieeffekte zu erzielen. Denn das wirtschaftliche Umfeld in Deutschland ist nicht einfach, sehr viele Autohersteller buhlen um die Kunden. Die Kooperation bleibt zunächst nur eine Option, stattdessen ordnet Benz & Cie. seine Geschäftsfelder in der Nachkriegszeit intern neu. Das Werk Mannheim übernimmt die Herstellung von Motorpflügen und Schleppern, und 1921 gliedert das Unternehmen den Bau von Stationärmotoren im alten Werk als selbständige Firma unter eigenem Namen aus. So entstehen die Motoren-Werke Mannheim.

Am 1. Mai 1924 gehen die beide Unternehmen DMG und Benz & Cie. dann doch einen Vertrag ein, der eine Interessengemeinschaft besiegelt. Beide Hersteller wollen auf dem schwierigen deutschen Automarkt Synergien nutzen, statt sich gegenseitig in identischen Marktsegmenten Konkurrenz zu machen. Das ist die Grundlage der zwei Jahre später folgenden Fusion zur Daimler-Benz AG.

Am 28./29. Juni 1926 wird die Fusion zwischen der DMG und Benz & Cie. vollzogen. Benz & Cie. bringt in die Hochzeit zwei Standorte ein: Die Aktiengesellschaft Benz & Cie., Rheinische Automobil- und Motorenfabrik, Mannheim, sowie die Benzwerke Gaggenau. Die DMG führt die Werke Untertürkheim, Marienfelde und Sindelfingen in das neue Unternehmen über.

Typenbereinigung nach der Fusion

Auch die in Mannheim gebauten Traktoren tragen den neuen Namen: Im Mai 1928 rollen die ersten Exemplare des neuen Mercedes-Benz Dieselschleppers Typ OE (43) aus dem Werk Mannheim. Das als Straßen- und Ackerschlepper angebotene Fahrzeug hat einen wassergekühlten, liegend eingebauten Einzylinder-Dieselmotor, der nach dem Vorkammerverfahren arbeitet. Die Leistung des großvolumigen Einzylinders mit dem beachtlichen Hubraum von 4,2 Litern beträgt 26 PS (19 kW), die bereits bei 800 U/min erreicht werden.

Krise und Boom

Trotz der Aufnahme neuer Modelle in die Produktion gerät das Werk Mannheim in Zeiten der Weltwirtschaftskrise um 1930 in eine schwierige Phase. Tatsächlich sinkt die Zahl der Mitarbeiter vom Höchststand des Jahres 1929 (3009) bis 1930 um mehr als ein Drittel auf 1786. Im Wirtschaftskrisen-Jahr 1931 arbeiten gar nur noch 603 Menschen im Mannheimer Werk, der Tiefststand ist 1932 mit 374 Mitarbeitern erreicht. Das ist nur wenig mehr als ein Zehntel der Belegschaft von 1929. Noch 1933 erreicht der Standort wieder Vollbeschäftigung. 1937 nimmt das Werk Mannheim schließlich auch noch die Lkw-Produktion auf.

Die Standardisierung erzwingt, dass der Betrieb auf den Nachbau des Dreitonner-Lkw von Opel umgestellt wird. Die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen in den Kriegsjahren ist extrem hoch. So wächst die Belegschaft von 3231 (1939) auf 4601 (1944) Mitarbeiter.

Wiederaufbau und neue Schwerpunkte

Bereits im Juni 1945 läuft die Produktion des Dreitonner-Lastwagens Typ L 701 im Werk Mannheim wieder an. Damit ist Mannheim der erste Standort der Daimler-Benz AG, an dem die Nachkriegsproduktion aufgenommen wird. Parallel zur Herstellung dieser Lizenzversion des Opel Blitz läuft der Wiederaufbau des Werks.

Klassiker L 3250

Die Nachfrage für die zunächst 20 Lastwagen am Tag ist groß: Weil Eisenbahn und Schifffahrt die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Verbrauchsgütern nicht leisten können, werden Nutzfahrzeuge dringend benötigt. Im Sommer 1949 hat dann aber der neue Mercedes-Benz Lastwagen L 3250 sein Debüt. Das ist eine der wichtigsten Grundlagen für die Entwicklung des modernen Nutzfahrzeugprogramms von Mercedes-Benz: Der L 3250 gilt als Wegbereiter für den Aufstieg von Mercedes-Benz zum europäischen Marktführer bei Lastwagen der mittleren Gewichtsklasse.

Mittelschwere Lkw

Im März 1951 konzentriert Mercedes-Benz schließlich die Omnibusproduktion ganz in Mannheim. Hier entstehen aber auch weiterhin mittelschwere Lastwagen, so zum Beispiel der Typ L 4500, der im März 1953 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt sein Debüt hat. Dieser 4,5-Tonner ergänzt den bewährten 3,5-Tonner L 3500 im Mannheimer Programm.

Das größte Nutzfahrzeugwerk des Kontinents

50 Jahre nach der Eröffnung des Werks in Mannheim-Waldhof ist aus der Benz-Fabrik schließlich ein internationales Kompetenzzentrum für Nutzfahrzeuge geworden. Das streicht die Daimler-Benz AG 1960 in einer Pressemitteilung anlässlich der Auslieferung des 200 000. Lastkraftwagens, der seit 1949 gebaut worden ist, hervor: Mannheim gilt zu diesem Zeitpunkt als „größtes Nutzfahrzeugwerk des Kontinents“. In Hallen von rund 200 000 Quadratmeter Grundfläche entstehen hier Anfang der 1960er Jahre Lastwagen und Omnibusse, die in aller Welt als hochwertige, leistungsfähige und zuverlässige Helfer in Wirtschaft und Verkehr geschätzt werden.

Ein neuer und bis heute wichtiger Baustein in diesem Vorzeigewerk ist die Gießerei, die Mercedes-Benz 1965 in Mannheim eröffnet. Baubeginn ist 1962, bei ihrer Eröffnung gilt die Gießerei als modernste Anlage ihrer Art in ganz Europa. Im Jahr 1970 feiert Mercedes-Benz Richtfest für zwei neue Werkshallen neben der Gießerei: Das Werk wird sich im Rahmen der Nutzfahrzeug-Neuordnung auf den Motorengrauguss, den Bau von Nutzfahrzeug-Motoren und vor allem den Omnibusbau konzentrieren. Und für die Motoren braucht Mannheim die beiden neuen Hallen. Zusammen haben die Gebäude 87 800 Quadratmeter Nutzfläche, der Rohbauwert liegt bei 50 Millionen sowie 20 Millionen Mark. Mannheim übernimmt die zentrale Motorenproduktion des gesamten Nutzfahrzeugbereichs von Mercedes-Benz. Zu den hier gebauten Triebwerken gehören von 1972 an auch die Aggregate der neuen Generation von Nutzfahrzeug-Dieselmotoren, Baureihe OM 400.

1975 verlässt der millionste im Werk Mannheim produzierte Nutzfahrzeug-Dieselmotor das Montageband. Die V6-Maschine des Typs OM 401 hat eine Leistung von 141 kW (192 PS) und gehört zu der im Mai 1970 eingeführten Baureihe 400. Der Jubiläumsmotor wird der Stadt Mannheim für ein Mercedes-Benz Feuerwehrfahrzeug gestiftet.
Zu den Veränderungen der 1970er Jahre gehören die Übernahme der Schwungrad- und Zahnkranzfertigung aus Untertürkheim sowie eines Teils der Textilfertigung aus Sindelfingen im Jahr 1977. Die Serienfertigung von Kurbelraumkernen nach dem „Cold Box“-Verfahren in der neuen Kernmacherei läuft 1978 an.

Lackierung per Roboter

Aber 1978 steht auch eine wirklich bahnbrechende Neuerung an: Erstmals werden Lackierroboter für die Bearbeitung der Nutzfahrzeugmotoren in Mannheim eingeführt. Die Maschinen erlernen ihre Arbeit durch das „Teach in“-Verfahren, bei dem ein Lackierer den Roboterarm führt und ihn durch alle Schritte leitet. Die Abläufe werden für jeden Motor passend auf Magnetspeicher abgelegt und können umgehend abgerufen werden. Für die Baureihe 300 wird die Roboter-Spritzlackierung 1978 eingeführt, für die Motorenfamilie 400 folgt diese Erleichterung der Arbeit kurz danach.

Cold Box in der Gießerei

Zur kontinuierlichen Modernisierung des Werks Mannheim gehören auch immer wieder neue Fertigungsverfahren. Das „Cold Box“-Verfahren mindert die Wärme- und Geruchsbelastung in der Gießerei erheblich, und eine Teilautomatisierung eliminiert zudem unangenehme Handarbeit.

Tauschmotoren aus Mannheim

Ein besonderes Jubiläum feiert das Werk 1999: 50 Jahre Tauschmotoren aus Mannheim. Bei Nutzfahrzeugen mit ihrer langen Lebensdauer ist es gang und gäbe, das Antriebsaggregat bei Bedarf nicht gegen einen neuen Motor, sondern gegen ein generalüberholtes und somit neuwertiges Exemplar auszutauschen. Dabei spielt auch der Zeitvorteil eine große Rolle: Das Auswechseln eines Motors vollzieht sich häufig schneller als die Reparatur eines defekten Aggregats. Die Tauschmotoren entsprechen technisch dem Stand neuer Serienmotoren, sind also auf dem aktuellsten Entwicklungsniveau, und sie enthalten grundsätzlich nur Mercedes-Benz Originalteile. Deshalb erreichen Tauschmotoren die gleiche Laufleistung wie neue Aggregate und erhalten ebenfalls die gleiche Garantie. Die Jahreskapazität ist hoch: Zum Beispiel im Jahr 1998 verlassen rund 6000 Tauschmotoren das Werk. Über die Jahre kommt eine eindrucksvolle Gesamtzahl zusammen: 2006 feiert das Unternehmen den Bandablauf des 500.000. Tauschmotors in Mannheim.

Mit der „Synchronen Fabrik“ in die Zukunft

Der Konzern investiert beständig in den Standort Mannheim. Von 2007 an sind es beispielsweise rund 150 Millionen Euro für die so genannte „Synchrone Fabrik“: Für die Motorenfertigung entstehen bis 2008/2009 neue Fertigungsanlagen in der Gießerei, der Zerspanung und der Nockenwellenproduktion, außerdem wird eine neue Montagehalle gebaut. Bei der Werkserweiterung wird verstärkt darauf geachtet, Lärm, Emissionen und Verkehr in den angrenzenden Wohngebieten zu reduzieren. Die „Synchrone Fabrik“, in der alle Bearbeitungs- und Versorgungsvorgänge der Zulieferteile synchron und zeitnah zum jeweils das Montageband durchlaufenden Motor erfolgen: Sie weist weit ins 21. Jahrhundert.

Das Werk Aksaray

Seit als 30 Jahren rollen Mercedes-Benz-Lkw auch in Kleinasien vom Band. Das Werk Aksaray produziert sowohl für den türkischen Markt als auch für den Export.

1984 wurde von Mercedes-Benz für die Fertigung von Lastwagen und Unimog sowie die Motoren- und Achsmontage ein Werk im anatolischen Aksaray geplant. Die Serienproduktion der Lkw begann im Jahr 1986. Am 1. Mai 1995 rollte der 10.000ste Lkw vom Band, ein dreiachsiger MB 2521 mit 155 kW (210 PS)-Motor und 25 Tonnen Gesamtgewicht; am 8. Juni 2006 war es der schon 75.000ste Lkw, ein Axor 3240 C.

Mit seinem hohen Exportvolumen in viele Länder ist das Werk nicht nur für Aksaray, sondern auch für die türkische Wirtschaft von großer Bedeutung. Mercedes-Benz Türk wurde 1967 in Istanbul gegründet und nahm 1968 die Produktion von Omnibussen für den türkischen Markt auf. Mit der 1986 begonnenen Produktion von Lkw entwickelte sich das Werk Aksaray im Laufe der Zeit zu einer bedeutenden Industrieeinrichtung und zum wichtigsten Arbeitgeber in der Region.

Mehr als 200.000 Einheiten produziert

Heute umfasst das Produktportfolio des Werkes verschiedene Varianten des Actros und Arocs mit Euro 6 (darunter auch SFTP-Fahrzeuge) und fertigt nach modernsten Produktionsstandards vorwiegend Lkw für den türkischen Markt. Im Jahr 2014 rollte der 200.00ste im Werk Aksaray gefertigte Lkw vom Band. Die Anlagen von Aksaray umfassen heute eine Gesamtfläche von 560.000 m². Hochmoderne Produktionsanlagen stellen die hohe Produktqualität sicher. Seit 2003 ist das Werk nach der ISO Umweltnorm zertifiziert und erfüllt damit höchste Umweltstandards. Im Werk Aksaray sind derzeit rund 1.800 Mitarbeiter beschäftigt.

Das Werk Molsheim

Entwicklungszentrum für Sonderfahrzeuge und Umbauspezialist für Lkw in einem: Das Mercedes-Benz Werk Molsheim im Elsass ist der französische Standort von Mercedes-Benz Trucks. Mit rund 500 Mitarbeitern ist es das größte Lkw-Umbauwerk weltweit und gleichzeitig Sitz der Geschäftsorganisation "Mercedes-Benz Custom Tailored Trucks" (CTT), die Kundensonderwünsche weltweit koordiniert und mit ausgewählten Umbaupartnern realisiert. Der Standort wurde 1967 gegründet und verfügt somit über eine langjährige Erfahrung in der Produktion von Sonderfahrzeugen.

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Fahrerhausfertigung inklusive

Neben der Kernaktivität des Lkw-Umbaugeschäftes ist am Standort Molsheim die Fertigung von Fahrerhäusern für Unimog U300, U400 und U500 sowie die Teilefertigung angesiedelt. Ebenso befindet sich in Molsheim das internationale Entwicklungsteam für die Erarbeitung kundenspezifischer Umbauumfänge.